Moore als natürliche Verteidigung: Ein innovativer Ansatz für Europas Sicherheit

Die geopolitische Realität in Europa hat sich dramatisch verändert. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit 2022 hat verdeutlicht, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeit neu denken muss. Während Milliarden in konventionelle Rüstung fließen, fehlt es an innovativen, kosteneffizienten und synergetischen Lösungen. Ein solcher Ansatz ist die Wiedervernässung von Mooren – eine Maßnahme, die sowohl der Sicherheit Europas als auch dem Klima- und Naturschutz dient.
Moore als strategische Verteidigungslinie
Moore haben historisch eine entscheidende Rolle bei der militärischen Verteidigung gespielt. Bereits Napoleon scheiterte an den unwegsamen Sumpflandschaften Russlands, und im Jahr 2022 nutzte die Ukraine gezielt Überflutungen zur Verteidigung Kyjiws. Es gibt kein militärisches Gerät, das natürliche, nasse Moore durchfahren kann. Nach Angaben in einem Buch über Militärtechnik von W.W. Baluta, das 2018 in Weißrussland veröffentlicht wurde, sinkt die Durchfahrbarkeit von 1,0 kg/cm2 in entwässerten Mooren auf 0,25 kg/cm2 in einem feuchten Moor. Alle großen Offensiven durch die Moorgebiete während des Zweiten Weltkriegs wurden im Winter und unter Beteiligung von Moorforschern durchgeführt. Dieses Wissen wurde vor kurzem in der modernen Ukraine wiederentdeckt. Natürlich nasse und ebenso wiedervernässte Moore sind für Panzer unpassierbar, verlangsamen Truppenbewegungen und erzwingen planbare Korridore, die leichter zu verteidigen sind.
Besonders relevante Regionen für eine strategische Wiedervernässung sind:
- Ukraine – Schutz gegen aktuelle Angriffe aus Russland und ggf. Belarus
- Grenzgebiete Polens, der baltischen Staaten, Finnlands und Rumäniens – natürliche Barrieren gegen potenzielle Bedrohungen aus Russland
- Ostdeutschland – als zusätzliche Verteidigungslinie für West-Europa
Neben ihrem direkten militärischen Nutzen bieten Moore einen zusätzlichen Schutz für kritische Infrastruktur, indem sie Truppenbewegungen in der Nähe von Verkehrswegen, Energieanlagen und strategischen Versorgungspunkten erschweren können.
Synergien mit Klimaschutz, Wirtschaft und Naturschutz
Die sicherheitspolitische Bedeutung der Moore ergänzt sich mit klimapolitischen und wirtschaftlichen Vorteilen. Trockengelegte Moore setzen große Mengen CO₂ frei – ihre Wiedervernässung könnte Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr binden. Im Durchschnitt spart jeder Hektar wiedervernässter Moorfläche mindestens 10 Tonnen CO₂ pro Jahr, in vielen Fällen sogar deutlich mehr. Damit leistet diese Maßnahme nicht nur einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, sondern schafft durch nachhaltige Bewirtschaftungsmodelle (Paludikultur) auch wirtschaftliche Perspektiven für ländliche Regionen.
Die wirtschaftlichen Vorteile umfassen:
- Schaffung neuer Wertschöpfungsketten durch nasse Bewirtschaftung
- Förderung von Unternehmen, die sich auf Biomassenutzung aus nassen Mooren spezialisieren
- Beitrag zur regionalen Entwicklung und Sicherung von Arbeitsplätze im ländlichen Raum
Darüber hinaus unterstützt die Wiedervernässung von Mooren die Ziele des EU Nature Restoration Law, das eine großflächige Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme vorschreibt. Natürliche und wiedervernässte Moore bieten Lebensraum für zahlreiche bedrohte Arten, regulieren den Landschaftswasserhaushalt, kühlen ihre Umgebung, sorgen für sauberes Wasser und verbessern die Widerstandsfähigkeit gegenüber Extremwetterereignissen.
Unterschiedliche Typen von Moorlandschaften
Für eine effektive Nutzung der Moore als Verteidigungsinstrument ist es wichtig, zwischen zwei Haupttypen zu unterscheiden:
- Großflächige, noch weitgehend intakte Moorlandschaften – Diese Gebiete befinden sich meist in grenznahen Regionen und sind aufgrund ihrer Weitläufigkeit besonders wirkungsvoll als natürliche Barrieren.
- Fragmentierte, landwirtschaftlich genutzte entwässerte Moore – Diese Gebiete sind stärker erschlossen, könnten aber durch gezielte Wiedervernässung ebenfalls strategische Vorteile bieten. Hier müsste jedoch geprüft werden, wie Straßen und Infrastruktur den Verteidigungseffekt beeinflussen.
Finanzierung und Marktentwicklung: Nutzung des EU CRCF
Ein Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung liegt in der Finanzierung. Hier bietet sich die Nutzung des EU Carbon Removal Certification Framework (CRCF) an, um Anreize für Investitionen in die Wiedervernässung zu schaffen. Konkret könnte die EU garantieren, über die nächsten zehn Jahre einen Teil der durch Moorprojekte generierten Treibhausgas-Emissionsreduktionen aufzukaufen. Die restlichen Zertifikate könnten von der Privatwirtschaft übernommen werden, was den Markt für Moor-Wiedervernässung stärkt und zusätzliche Investitionen mobilisiert.
Ein möglicher Finanzierungsrahmen:
- Einrichtung eines EU-Fonds mit 250-500 Mio. € zur Finanzierung von Planung und Umsetzung
- EU als Ankerkäufer für 50 % der generierten Emissionszertifikate über zehn Jahre
- Mobilisierung der Privatwirtschaft zur Übernahme der restlichen 50 %, um den Markt für CO₂-Zertifikate aus Mooren zu etablieren
Durch diese Kombination aus öffentlicher Förderung und privater Beteiligung könnte nicht nur die Verteidigung gestärkt, sondern auch ein neuer Wirtschaftszweig etabliert werden.
Umsetzung: Von der Vision zur Realität
Damit Moore als Verteidigungsstrategie wirksam werden, sind konkrete Maßnahmen erforderlich:
- Identifikation und Priorisierung von Moorgebieten in strategisch besonders relevanten Regionen
- Technische Maßnahmen zur Wiedervernässung:
- Einstellung von Wasserpumpen, Blockierung von Entwässerungsgräben
- Bau von Schleusen und Flutungsinfrastruktur
- Wiederherstellung natürlicher Wasserhaushalte
- Ziel: Mindestens 100.000 ha entlang der Ostgrenzen der EU und in der Ukraine
- Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen:
- Schnelle Genehmigungsprozesse für Verteidigungsmoore (nationales Interesse)
- Nutzung des EU CRCF zur Finanzierung durch CO2-Zertifikate
- Finanzielle Anreize für Landwirte und private Eigentümer
- Integration in die europäische Sicherheitsstrategie:
- Zusammenarbeit mit NATO-Partnern
- Berücksichtigung in nationalen Verteidigungsplänen
- Einbindung von Umwelt- und Infrastrukturministerien zur Planung
Fazit: Ein neuer Blick auf Sicherheit
Europa braucht innovative Verteidigungsstrategien, die über konventionelle Aufrüstung hinausgehen und langfristige Sicherheit auch nach Ende militärischer Auseinandersetzungen garantieren. Die Wiedervernässung von Mooren ist eine kosteneffiziente, nachhaltige und strategische Investition in Sicherheit, Klimaschutz und wirtschaftliche Stabilität. Neben dem Schutz vor militärischen Bedrohungen bietet sie langfristige wirtschaftliche und ökologische Vorteile. Durch die Kopplung mit dem EU CRCF kann eine gezielte Marktentwicklung für Moorprojekte angestoßen werden. Zudem ist die Wiedervernässung ein wichtiger Baustein zur Umsetzung des EU Nature Restoration Law, das zur Wiederherstellung europäischer Landschaften beiträgt. Jetzt ist der Moment, diese Lösung ernsthaft in die politische Debatte einzubringen.
Literaturempfehlungen: Schwägerl, C. (2024): Die strategische Bedeutung von Feuchtgebieten. Internationale Politik 5, September/Oktober 2024, S. 78-83
Karte der Moore und Feuchtgebiete der EU und anderer Länder

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